Clara Luzia (Ö) + Schnipo Schranke (D)
I feel that it's a pissed off album, but in a sophisticated pissed off way. The way you are pissed off with a crooked smile and a raised eyebrow. Because you know you are more clever than that.“ (Denice Bourbon)
Yes, it’s fucking political!
Wie auch nicht? Wir haben die magischen 7-Mrd-Menschen-Marke überschritten, pseudoreligiös unterfütterte Abstrusitäten bieten Orientierungslosen neuen Halt, die Festung Europa verteidigt mit Zähnen und Klauen ihren Wohlstand, und Umwelt und Tiere siechen dank unserer bodenlosen Gier vor sich hin.
Dennoch ist „Here’s To Nemesis“, das mittlerweile sechste Studioalbum von Clara Luzia keine Platte, die nach dem Strick greifen lässt. Denn mit dem Arsch ins Gesicht fährt Luzia trotz allem nicht. Die Texte sind codierte Erzählungen über die Suche nach dem richtigen Leben im falschen: Wer sie verstehen will, kann sie leicht entschlüsseln. Wer die Comfort Zone nicht verlassen will, wird auch in der der herbsten Kapitalismuskritik ein softes Liebeslied hören. Und das passt auch so. Sind die Lieder einmal ins Außen entlassen, hat die Verfasserin kein Deutungsmonopol mehr. Doch wer zuhört gewinnt.
„It’s very raw and not too much stuff. There are no unnecessary decorations because the album doesn't need it, the songs don't need it. I feel that they have the exact amount of things added to the base structure, which gives the album a lot of attitude.“ (Denice Bourbon)
Nach Jahren mit großer Band und entsprechend dichtem Klang riss sich Clara nun die Kleider vom Leib. Übrig bleiben Haut und Knochen in Form von Bass, Gitarre, Schlagzeug. Blaupause für den Sound von „Here’s To Nemesis“ stellte 2014 die Interpration von „Sinnerman“ für Andreas Prochaskas Erfolgsfilm „Das Finstere Tal“ dar. Catharina Priemer, die Neue am Schlagzeug, wies Clara den Weg zu schwingenden Tremolo-Gitarren, die viel Raum lassen für Stimme und Leerstellen. Der britische Produzent Julian Simmons erledigte den Rest, indem er in vielen von Claras Kompositionen das Tempo rausnahm, um diesen Schwingungen auch gebührend Platz zu lassen.
Das Cover-Artwork von Alexandra Mia Monkewitz zeigt eine Nuss, einen Kern als Metapher dafür, dass der Kern allen Seins in allem steckt. „We are all seeds of the same tree“ (Cosmic Bruise) - die wichtigste Erkenntnis, die für Clara Luzia alles verändert hat. Der Schlüsselsatz des Albums. Die Achse als Hinweis auf die Waagschale der Nemesis, der Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit. Auf ihr ruht die ganze Hoffnung. Und die Hoffnung lebt - trotz allem.
Übertrieben lieben, blind sein vor Liebe, viel zu ehrlich sein, viel zu direkt sein, viel zu viel sein, viel zu viel wollen, Geschlechtsteile beim Namen nennen, Kette rauchen, in Zwölftonmusik geschult sein, Melodien für Millionen schreiben, auf das Popstarwerden warten, im Sitzen die Karriere starten, Lethargie haben, Fehler machen, anhimmeln, sich klein machen, sich groß machen, Halt brauchen, vor nichts Halt machen, Lover in der Hölle sehen, zarte Harmonien mit Fäkalsprache paaren, hauptberuflich toben wollen, Schmerzen haben:
Schnipo Schranke sind Friederike Ernst und Daniela Reis, Jahrgang 1989 und 1988. Zwei Frauen, die sich an der Musikhochschule in Frankfurt über den Weg gelaufen sind. Zwei Außenseiterinnen an Flöte und Cello, für die das Studium der klassischen Musik sich schnell als seltsames Missverständnis entpuppt. Denen das Leben zu schade ist, um es mönchischer Hochleistungsfanatik zu opfern. Die bald merken, dass sie füreinander geschaffen sind. Die sich einigeln, um etwas Neues, Anderes zu schaffen. Musik, die sie berühmt machen soll.
Beim Kurt-Krömer-Gucken fällt ihnen der Bandname vor die Füße: Schnipo Schranke, ein Shortcut für „Schnitzel mit Pommes, Majonnaise und Ketchup“. Ein früher Song (der es nicht auf’s Album geschafft hat, weil HipHop nicht mehr ihr Ding ist) heißt „Beste Freunde“, ein Youtube-Hit für Gourmets und ein erster Hinweis, das hier etwas Seltsames von großer Schönheit anrollt. Sie lassen die Laptopkamera das Video drehen: zwei dünne Ladys in Jogginganzügen, die in einem winzigen Zimmer zwischen Matratze und Schreibtisch dancen, sich am Po kratzen und am E-Piano Zeilen wie „Meine Ohren bluten schon, / Halt die Fresse Hello-Kitty-Pyjama“ rappen. Es ist das Zimmer, in dem die beiden gewohnt haben, eine schöne Zeit soll es gewesen sein. Daniela war zu Fritzi gezogen, einer Lebenskrise wegen, die etwas mit Liebe zu hatte. Liebe, natürlich.
Von Liebe, von ihrem Scheitern, von ihrem Schrecken und ihrer Schönheit, vom Lieben und Liebe machen, von der Frage, ob das jetzt Liebe gewesen ist oder doch nur Sehnsucht oder einfach ein Fehler: Davon handeln eigentlich alle Songs von Schnipo Schranke. Und nicht nur eigentlich, sondern tatsächlich: alle Songs, Punkt. Weil es nichts Wichtigeres gibt. Auch „Pisse“ handelt davon, der erste große Erfolg, die erste Veröffentlichung – herausgekommen auf dem Sampler „Keine Bewegung“ des Berliner Labels Staatsakt und dann rumgereicht im Internet. Weil bei Minute 03:36 ein Penis ins Bild kommt, hat Youtube das „Pisse“-Video sperren lassen, jetzt kann man es und ihn auf Vimeo ansehen und auf Youtube gibt’s das nur noch mit Standbild. „Huhu also ich mag das lied“, heißt es in einem Kommtar darunter. „Aber kann mir bitte jemand sagen, ob das satirisch gemeint ist, dass mit ‚brauche jemand der mich knallt’ oder warum singt sie das?????!!!“
Ja, warum bloß? Und warum zum Teufel singen die jungen Frauen bei den Konzerten von Schnipo Schranke das auch noch lauthals mit? Sogar in der Roten Flora? Weil es großartig ist, weil es ehrlich ist. Weil Schnipo Schranke sich nackig machen. Weil sie dieses bezaubernde Talent haben, das Pop so existentiell und groß macht: Sie können über ihre Schwächen singen. Ganz bestimmt ist das auch feministisch, aber Schnipo Schranke machen es nicht aus politischen Gründen. Sondern weil sie was Großes schaffen wollen. Fehler ist King, wie es einst Knarf Rellöm in der Ursuppe der Hamburger Schule sang – und nach Hamburg sind Schnipo Schranke dann ja auch gezogen. Weil ein paar gute Menschen in dieser Stadt ihren Humor und seine Abgründe zu verstehen scheinen.
Und jetzt das Album. „Satt“ heißt es. Schluss mit dem Youtube-SpaßbandDasein, her mit den dunklen Gefühlen, her mit der Übersteuerung, her mit den krautigen Störgeräuschen, den glitzernden Synthie-Kaskaden, die die einfachen und doch so cleveren Piano-Akkordfolgen zart umspielen. Von Ted Gaier in den Katakomben des Art Blakey Studio sanft in Richtung Psychedelik und Erhabenheit geschubst, haben Fritzi Ernst und Daniela Reis ihren Sound zwischen 80erElektronik und 70er-Orgeln gefunden. Eine Rockband aus Klavier, Schlagzeug und zwei Stimmen. „Ne Kurze und ne Kranke, zwei Peanuts, ein Gedanke“, singen Schnipo Schranke im Album-Opener. Doch das stimmt nicht. Diese beiden Frauen sind keine Peanuts. Sie sind ganz große Nüsse.